In der „ars medicina“
(lat.) bilden Heilkunst und Heilkunde traditionell ein Gespann.
Die Kunst der Gesprächsführung, Gespür entwickeln
für den richtigen Zeitpunkt und die angemessene Dosis
von Interventionen, Möglichkeiten zum heilsamen Ausgleich
von Kräften und Lebensenergien nutzen, symbolische Konfliktlösung
mit farbigen Bildern, dramatischen oder musikalischen Gestaltungen,
Bewegungen oder meditativer Stille finden - das sind nur einige
Beispiele der Heilkunst. Heute macht die medizinische Heilkunde
mit Hilfe neuer Forschungsmethoden spektakuläre technische
Fortschritte. Mancher glaubt deshalb, dass Heilkunst eher
eine schwärmerisch angehauchte Idee von gestern sei und
für moderne Heilkunde dementsprechend nebensächlich.
Die Umsetzung von theoretisch-wissenschaftlichen
Forschungen in praktisch-empirische Heilkunde erfordert jedoch
weiterhin immer auch das Können von Heilkunst. Dazu muss
man nicht auf „uralte“, komplementäre oder
alternative Heiltraditionen zurückgreifen. Studien über
das Verhältnis zwischen ÄrztInnen bzw. TherapeutInnen
und PatientInnen zeigen seit langem, dass beide Partner in
wesentlichen Bereichen ihrer Begegnung ohne Worte aufeinander
einwirken. Neurobiologische Forschungen weisen heute nach,
dass wir z.B. über „mirror neurons“ (Spiegelneuronen)
momentane Einstellungen, Haltungen und Gefühle unseres
Gegenübers unbewusst registrieren und zugleich in unser
mögliches Verhalten „einplanen“. Auch die
sensible Berücksichtigung der symbolischen Faktoren des
Placebo- und Noceboeffekts ist eine ständige Herausforderung
für moderne Heilkunde.
Die bewusste Gestaltung von mitentscheidenden
nonverbalen und emotionalen Elementen in heilsamen Beziehungen
wird bisher im Studium, sowie in der Aus- und Weiterbildung
meist sträflich marginalisiert. Das diesjährige
Seminar trägt den etwas ungewöhnlichen Titel: „Künste
des Heilens“. Mit diesem Wortspiel soll eine ideologische
Verengung des Begriffs „Heilkunst“ vermieden werden.
Wir möchten ihnen stattdessen ein offenes Forum zur Erkundung
von Facetten heilender Faktoren bieten.
In Plenumsreferaten werden sozial- und kulturwissenschaftliche
sowie naturwissenschaftlich-neurobiologische Aspekte der Heilkünste
dargestellt.
In den Arbeitsgruppen können Sie unterschiedliche „Künste
des Heilens“ praktisch erkunden. Erfahrungen von bewegt
werden, bewegt sein und sich bewegen werden im Zusammenspiel
heilsam verbunden. Sie können erleben wie es ist, lebendig
zu sein, achtsam und gewahr für Sie selbst und Ihr Gegenüber.
Im Seminar können Sie für ein paar Tage „die
ganze Welt“ zur Bühne, zum Theater, zum Drama,
zum Spiel machen. Was geschieht z.B., wenn wir uns bewusst
hinter Masken verbergen? Wie vielfältig können unsere
Stimmen und Bewegungen ein Geschehen beeinflussen? Wie können
therapeutische Berührungen und achtsames Atmen heilen
helfen? Wie können wir unsere zwischen-menschliche Teilhabe
und Teilnahme authentischer ausdrücken?
Es gibt mehr als genug gute Gründe für
alle Heilkundigen, um sich beim Seminar „Leib oder Leben“
auch in den Künsten des Heilens praktisch weiterzuentwickeln.
Prof. Dr. Helmut Milz
|