Editorial
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Psychotherapie
ist ein ernsthaftes Geschehen, welches auf Wissen und (Selbst)Erfahrung,
Einfühlungsvermögen und Klarheit, Theorien, Konzepten
und Techniken beruht.
TherapeutInnen können ihren PatientInnen am besten helfen,
wenn sie sich auch selbst wohl fühlen. Bei gegenseitigem
Respekt kann in der Therapie auch gelacht werden und auch
Alltägliches ausgetauscht werden. Es ist menschlich sich
zu strecken, zu dehnen oder zu gähnen, sowie in verschiedene
Masken und Rollen zu schlüpfen. Therapie hat Gemeinsamkeiten
mit Bühne, Theater, Ritual und Spiel.
Welche Faktoren und Umstände sind bei
einer Therapie „Im Spiel“? Was spielt sich da
ab? Wie sind die Regeln? Was steht auf dem Spiel? Wie hoch
ist der Einsatz? Wie sind die Gewinnchancen? Wie können
sich die Partner einer therapeutischen Begegnung „die
Bälle“ gegenseitig so zuspielen, dass aus anfänglichen
„Gegnern“ ( therapeutische Begegnung) schließlich
ein erfolgreiches „Team“ (therapeutische Beziehung)
wird? Wie entsteht Spielraum zur Erprobung von Möglichkeiten?
Welcher Ausdruck schafft welchen Eindruck? Mit welchen Masken,
Verkleidungen oder Vermummungen wird gespielt? Welche Manöver
werden versucht? Welche überraschenden Bewegungen, Gesten,
Mimiken spielen mit? Was könnten diese erläutern,
erklären, vertuschen, vortäuschen, unterdrücken
oder verwirren? Was ist echt und was ist Fassade? Wer ist
Mitspieler, Falschspieler oder Spielverderber?
Wieviel Spiel hat die Umwelt für
die kindliche Entwicklung eines Menschen ermöglicht?
Wie sehr ist jemand von inneren Bildern des Gewinners oder
Verlierers gezeichnet?
Der Kulturwissenschaftler J. Huizinga hat den spielenden Menschen
(homo ludens) neben den Menschen als Denker (homo sapiens)
und Tätigen (homo faber) gestellt. Er geht davon aus,
dass alle menschliche Kultur „im Spiel“ entstanden
ist. Er schrieb: “Wir spielen und wissen, dass wir spielen,
also sind wir mehr als nur vernünftige Wesen, denn das
Spiel ist unvernünftig“. Spiel ist mehr und anders
als die Delegation von Entspannung und Entlastung vom ernsthaften
Leben an die Freizeit. Auch die „erhabensten Handlungen“
können Spielcharakter haben. Ein Spiel verläuft
in bestimmten Grenzen, nach freiwillig angenommenen, aber
bindenden Regeln. Es unterscheidet sich als zeitlich begrenztes,
bewusstes Anderssein vom gewöhnlichen Leben.
Psychotherapie ist eine freiwillige, absichtliche, örtlich
und zeitlich begrenzte, kulturell geprägte und geregelte
Beziehung, mit dem Ziel eines heilsamen, zwischenmenschlichen
Austauschs. Die beteiligten Personen interagieren in Rollen
von TherapeutIn und PatientIn. Dabei handeln TherapeutInnen
im Auftrag der sozialen Gemeinschaft, welche sie ausbildet
und dazu berechtigt. Ihre Aufgabe ist es, so mit PatientInnen
zu arbeiten, dass deren Lebensweg positiv beeinflusst wird.
Psychotherapie ist eine emotional besetzte Beziehungsform,
wobei PatientInnen von der begründeten Hoffnung ausgehen,
dass die TherapeutInnen planvoll helfen eine plausible Erklärung
ihrer Probleme und Leiden zu finden, um diese in der heilsamen
therapeutischen Beziehung bewältigen und verändern
zu können.
„Games people play“(E. Berne)
In der Therapie werden vielfältige Rollenerwartungen
an die TherapeutInnen gestellt. Diese werden von den PatientInnen,
aber auch von der Gesellschaft und ihren Institutionen geprägt.
Erwartungen werden nicht nur explizit formuliert, sondern
sie entwickeln sich oft unbewusst in Übertragungs- und
Gegenübertragungsprozessen. Je nach Blickwinkel und Bedürfnis
können sich dabei Rollenerwartungen ergeben wie: HelferIn,
ExpertIn, KrisenmanagerIn, Mutter, Vater, FreundIn, Kumpel,
Vorbild, Mann, Frau, ErlöserIn, BündnispartnerIn,
LehrerIn, MeisteInr, ErzieherIn, MithelfeIn, MitstreiterIn,
Lernende, Verwalter, Kontrolleur, Imagepflegerin, KlientenwerberIn,
KostenverwalterIn, BuchhalterIn, ÖkonomIn, DokumentarIn
oder RichterIn. Um diesen Rollenerwartungen zu genügen
benötigen TherapeutInnen enorme Flexibilität und
Verwandlungskunst.
Vor dem Hintergrund ihrer Theorien und Konzepte verwenden
TherapeutInnen verschiedene Sprach- und Wortspiele und arbeiten
mit Unterschieden, Kräften, Energien, Ressourcen und
Widerständen. Dabei nutzen sie, je nach ihrer Tradition,
Rollenspiele, psychodramatische Darstellungen, Familienskulpturen,
Körperaufstellungen im Raum, Bewegungsvariationen, Schritte,
Schwerkraft, Leichtsinn, Mut, Sinnlichkeit, Rhythmus, Resonanz,
Bilder, Metaphern oder andere Künste des Heilens.
Das diesjährige Seminar „Leib oder Leben“
bietet Arbeitsgruppen und Vorträge, welche sich den praktischen
und spielerischen Erfahrungen von Körperwahrnehmung,
Achtsamkeit , Gewahrsein, Präsenzerleben, Bewegungskompetenz,
Ausdrucksfähigkeit, Flexibilität und Lebensfreude
widmen.
Der Schwerpunkt „Im Spiel“ soll erstarrte Vorstellungen
von Psychotherapie in Bewegung bringen. Leichtigkeit, Neugierde
für überraschende Bewegungen, Lebenslust, Mut zum
Risiko, Arbeit mit Vorstellungen auf inneren und äußeren
Bühnen, Erfinden, Entdecken, Gewinnen und Verlieren.
Dies alles gehört zur Therapie, die ihre Wurzeln im Spiel
erkennt und nutzt.
„Leute hören nicht auf zu spielen, weil sie alt
werden, sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen!“
( O.W. Holmes)
„Das Schicksal mischt die Karten und wir spielen."
(F. Schopenhauer)
Helmut Milz
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