Editorial
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Welchen Körper meinen wir,
wenn wir vom Körper sprechen? Aus naturwissenschaftlicher,
objektiver Sicht kann der menschliche Körper „eindeutig“
in seinen Strukturen und Funktionen vermessen und beschrieben
werden. Aber jeder Mensch hat zugleich eine „subjektive
Anatomie“ (v. Uexküll). Diese entsteht aus seiner
Lebensgeschichte. Sie prägt sein „meindeutiges“
Körperbild und Leibgedächtnis. „Das Herz“,
welches der Arzt von außen eindeutig betrachtet,?ist
für den Patienten/ die Patientin immer auch „mein
Herz“. So erlebt er / sie sich selbst in der Gegend
seines/ ihres Herzens. Wer seinen eigenen Körper berührt,
„ihn“ von „außen“ oder im Spiegel
betrachtet, über „ihn“ nachdenkt, der stellt
Vergleiche an mit früheren Erfahrungen oder mit anderen
Körpern. Bewertungen, Ideale, Wünsche, Zweifel oder
Ängste über den Körper tauchen auf. Der Körper
ist mehr als das, was äußerlich von ihm sichtbar
ist. Er ist kein feststehendes Ding, sondern wandelndes Geschehen,
Leib, lebendiges Leben.
Wie sprechen ÄrztInnen und TherapeutInnen
über „Körper“? Und wie „sprechen“
ihre eigenen Körper und die fremder Menschen zu und mit
ihnen? Sprechen sie und ihre PatientInnen vom gleichen „Körper“
oder müssen die unterschiedlichen Seins- und Bedeutungsebenen
in der zwischenleiblichen Beziehung immer neu „übersetzt“
werden?
Prä-, non- oder paraverbale Kommunikationsformen
des Körpers spielen in der Psycho- und Körpertherapie
eine wesentliche Rolle. Mit ihnen drücken Menschen etwas
aus, wozu oft die Worte fehlen oder was sie nicht anders sagen
können. Kopf- und Körperhaltung, Gesichtsausdruck,
Blick, Händedruck, Tonfall, Redefluss, Gestik und Bewegungsänderungen
sprechen Körpersprachen. Sie verdeutlichen, betonen,
vertuschen oder appellieren. Die Art und Weise des Händedrucks
oder Blickkontakts, wann und wie von wem gesprochen oder geschwiegen
wird, wann man sich zu- oder abwendet, sich der Blick erhellt
oder verfinstert, wieviel Raum jemand mit seiner Körperhaltung
und Gestik einnimmt oder verschließt, wie sich jemand
kleidet, dies sind mögliche Körpersprachen.
Neurobiologische Forschungen beleuchten den prägenden
Einfluss von körpersprachlichen Signalen auf die frühkindliche
Entwicklung (A. Schore). Sie bilden die Primärsprache
(„the music of language“ in „moments of
meeting“, D. Stern) für die Herausbildung von psychophysischen
Strukturen des Menschen, insbesondere für die Reifung
von Gefühlen. Sie formen das individuelle Leibgedächtnis
und beeinflussen spätere Verhaltensmuster. Vor dem Hintergrund
dieses impliziten Gedächtnisses werden aktuelle Wahrnehmungen
verglichen und meist unbewusst mit Bedeutungen belegt.
Die frühe Körpersprache zwischen
Mutter und Kind wird im Laufe des Lebens von kulturellen und
sozialen Körpersprachen überlagert, genormt und
geregelt. Innere Körpersignale („Organsprachen“,
G. Groddeck, A. Adler) vermischen sich mit aktuellen Signalen
aus der Umwelt. Dies gilt es bei der „Übersetzungsarbeit“
von Körpersprachen im therapeutischen Prozess zu beachten.
Welche Bedeutung („appraisal“, R. Lazarus) haben
Körpersprachen für wen und wann? Was wird erinnert,
agiert oder bewusst inszeniert? Welche Konflikte werden in
Körpersprachen erlebt, verdrängt, imaginiert oder
gelöst?
Was fällt uns auf der TherapeutInnenseite
spontan ein, was wird intuitiv assoziiert? Leibliche und körperliche
Dialoge zwischen TherapeutIn und PatientIn bewirken ein weitgehend
unbewusstes Wechselspiel von Resonanzen, Antworten oder Ausweich-manövern
(„interpersonal neurobiology“, D. Siegel). Entsprechend
wichtig ist es für TherapeutInnen, dass sie sich auch
ihrer eigenen Körpersprachen bewusst werden. Achtsamkeit
hilft den eigenen Spürsinn zu verfeinern.
Die emotional-affektive Ladung ihrer eigenen Körpersprache
entscheidet mit darüber, ob ihre therapeutische Arbeit
gelingen kann.
Helmut Milz
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