LEIB ODER LEBEN
16. Internationales Seminar für
körperbezogene Psychotherapie, Körpertherapie
und Körperkunst
BAD GLEICHENBERG, 25.April bis 30.April 2010
KörperSprachen

 


meindeutig-eindeutig-deindeutig

KörperSprachen

 

„Wie tief ist doch die Menschheit gesunken! Man hat den Körper zum Schweigen gebracht, nur der Mund redet noch. Aber was kann der Mund schon sagen?“
N. Kazantzakis, A. Sorbas

Editorial

 

 

 

 

 

Welchen Körper meinen wir, wenn wir vom Körper sprechen? Aus naturwissenschaftlicher, objektiver Sicht kann der menschliche Körper „eindeutig“ in seinen Strukturen und Funktionen vermessen und beschrieben werden. Aber jeder Mensch hat zugleich eine „subjektive Anatomie“ (v. Uexküll). Diese entsteht aus seiner Lebensgeschichte. Sie prägt sein „meindeutiges“ Körperbild und Leibgedächtnis. „Das Herz“, welches der Arzt von außen eindeutig betrachtet,?ist für den Patienten/ die Patientin immer auch „mein Herz“. So erlebt er / sie sich selbst in der Gegend seines/ ihres Herzens. Wer seinen eigenen Körper berührt, „ihn“ von „außen“ oder im Spiegel betrachtet, über „ihn“ nachdenkt, der stellt Vergleiche an mit früheren Erfahrungen oder mit anderen Körpern. Bewertungen, Ideale, Wünsche, Zweifel oder Ängste über den Körper tauchen auf. Der Körper ist mehr als das, was äußerlich von ihm sichtbar ist. Er ist kein feststehendes Ding, sondern wandelndes Geschehen, Leib, lebendiges Leben.

Wie sprechen ÄrztInnen und TherapeutInnen über „Körper“? Und wie „sprechen“ ihre eigenen Körper und die fremder Menschen zu und mit ihnen? Sprechen sie und ihre PatientInnen vom gleichen „Körper“ oder müssen die unterschiedlichen Seins- und Bedeutungsebenen in der zwischenleiblichen Beziehung immer neu „übersetzt“ werden?

Prä-, non- oder paraverbale Kommunikationsformen des Körpers spielen in der Psycho- und Körpertherapie eine wesentliche Rolle. Mit ihnen drücken Menschen etwas aus, wozu oft die Worte fehlen oder was sie nicht anders sagen können. Kopf- und Körperhaltung, Gesichtsausdruck, Blick, Händedruck, Tonfall, Redefluss, Gestik und Bewegungsänderungen sprechen Körpersprachen. Sie verdeutlichen, betonen, vertuschen oder appellieren. Die Art und Weise des Händedrucks oder Blickkontakts, wann und wie von wem gesprochen oder geschwiegen wird, wann man sich zu- oder abwendet, sich der Blick erhellt oder verfinstert, wieviel Raum jemand mit seiner Körperhaltung und Gestik einnimmt oder verschließt, wie sich jemand kleidet, dies sind mögliche Körpersprachen.

Neurobiologische Forschungen beleuchten den prägenden Einfluss von körpersprachlichen Signalen auf die frühkindliche Entwicklung (A. Schore). Sie bilden die Primärsprache („the music of language“ in „moments of meeting“, D. Stern) für die Herausbildung von psychophysischen Strukturen des Menschen, insbesondere für die Reifung von Gefühlen. Sie formen das individuelle Leibgedächtnis und beeinflussen spätere Verhaltensmuster. Vor dem Hintergrund dieses impliziten Gedächtnisses werden aktuelle Wahrnehmungen verglichen und meist unbewusst mit Bedeutungen belegt.

Die frühe Körpersprache zwischen Mutter und Kind wird im Laufe des Lebens von kulturellen und sozialen Körpersprachen überlagert, genormt und geregelt. Innere Körpersignale („Organsprachen“, G. Groddeck, A. Adler) vermischen sich mit aktuellen Signalen aus der Umwelt. Dies gilt es bei der „Übersetzungsarbeit“ von Körpersprachen im therapeutischen Prozess zu beachten. Welche Bedeutung („appraisal“, R. Lazarus) haben Körpersprachen für wen und wann? Was wird erinnert, agiert oder bewusst inszeniert? Welche Konflikte werden in Körpersprachen erlebt, verdrängt, imaginiert oder gelöst?

Was fällt uns auf der TherapeutInnenseite spontan ein, was wird intuitiv assoziiert? Leibliche und körperliche Dialoge zwischen TherapeutIn und PatientIn bewirken ein weitgehend unbewusstes Wechselspiel von Resonanzen, Antworten oder Ausweich-manövern („interpersonal neurobiology“, D. Siegel). Entsprechend wichtig ist es für TherapeutInnen, dass sie sich auch ihrer eigenen Körpersprachen bewusst werden. Achtsamkeit hilft den eigenen Spürsinn zu verfeinern.
Die emotional-affektive Ladung ihrer eigenen Körpersprache entscheidet mit darüber, ob ihre therapeutische Arbeit gelingen kann.

Helmut Milz


   

 

 

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