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Manchmal pfeift
uns der Wind um die Ohren. Es braust und saust, möglicherweise
Sturm? „Immer noch Sturm“ (P. Handke)?
Wird unser Schiff untergehen? Werden wir den Wellen standhalten?
Wie schmeckt die steife Brise? Wie fühlt sich das „Salz
auf unserer Haut“ an (B. Groult)?
Immer wieder werden sowohl wir HelferInnen, als auch unsere
PatientInnen durch Lebenskrisen, Krankheiten und Unvorhergesehenes
aus der Bahn geworfen.
Leidende Menschen wenden sich an uns, weil sie in Zeiten der
Verunsicherung, der Not und der Krise Hilfe erwarten und erhoffen.
Unterschiedlichste Möglichkeiten des therapeutischen
Zuganges sind uns vertraut.
Viele von uns arbeiten psycho-therapeutisch, meist mit verbal-sprachlichen
Mitteln, mit kognitiven und intellektuellen Resumées
und Deutungen, eingebunden in verschiedenste theoretische
Gebäude und Denkrichtungen.
„Leib oder Leben“ bietet Erfahrungen und Austausch
mit Nonverbalem, mit Kreativem, mit Techniken der Kunst- und
Körpertherapie, mit Übungen aus den Kampfkünsten,
Angeboten von Meditation und spirituellen Erfahrungen.
Evidence- based?
Wissenschaftlich geprüft, erprobt, valide, gültig?
Leitliniengetreu?
Gegenwind schmecken.
Der Geschmack der Freiheit, der Klang des Neuen, der Geruch
von Haut und Haar, sinnliches Wahrnehmen, also mit allen Sinnen
wahrnehmen und im Anschluss das Wahrgenommene, also die Phänomene,
gemeinsam, also möglicherweise im Konsens, mit Bedeutung
versehen, in Sprache bringen vielleicht oder mit anderen Medien
weiterführen, intermodale Quergänge wagen, das Gehörte
mit Farben ver-sehen, das Gefühlte schmecken, auf die
Spur kommen, vielleicht die Spur wechseln. Vielleicht im Dissens
sich in die Haare geraten, um die eigene Position kämpfen,
aufgewühlt im Kampf um Macht und Geld, Strukturen und
Drittmittel, Institutionen und Hierarchien.
Gelegentlich keine Sprache finden, wie schmecken dann der
Groll, die Wut, die Angst, die Sorge, die Enttäuschung,
der Widerstand? Und wie klingen dann die Liebe, das Gelingen,
die Freude oder die Lust? Wie kann ich meinem Neubeginn Ausdruck
verleihen?
Meine Freude hinausposaunen? Vielleicht die Nacht durchtanzen?
Gegenwindschmecken
Die Universitätsklinik für Medizinische Psychologie
und Psychotherapie war in den letzten Jahren extrem herausgefordert,
die vielen Fragen, die an die Psycho-Kunst- und Körpertherapie
herangetragen werden, gehaltvoll weiter zu stellen.
Wir haben extremen Gegenwind gespürt, waren herausgefordert,
uns zu positionieren, unsere Ideen weiter zu spinnen, auch
wenn die Wogen hochgingen und der Sturm oft brauste.
So wie die hingebungsvolle und leidenschaftliche Tänzerin
und die anderen Figuren auf dem Titelbild von Ishwara Erhard
Koren haben wir versucht, uns tragen zu lassen, oft wurden
wir herumgewirbelt und sind immer wieder auch ins Schleudern
geraten.
Gelegentlich schmeckte die Stimmung schal und bitter, immer
wieder fassten wir Mut, hielten Stand, machten weiter.
Gegenwind.
Möglicherweise braucht es neue Formate? Neue Strukturen?
Muss das Alte weichen und dem Neuen Platz machen?
Was sagen die jungen KollegInnen zu unseren Ideen, wie kann
Leibhaftigkeit in der virtuellen Welt thematisiert sein? Wie
funktionieren die „Cyberleiber“ im 21. Jahrhundert?
Als unsere „Väter“ vor nunmehr 21 Jahren
„Leib oder Leben“ gründeten, war die Thematisierung
des Körpers in einer sich weitgehend am Verbalen orientierenden
(psycho-) therapeutischen Community revolutionär.
Die Psycho-Szene war an sich schon ein möglicher Ort
„subversiver“ Gedanken und das Ausleben von Körperlichkeit
sowie die Thematisierung und das Anbieten von oft „fremden“
und neuen Techniken wie Meditation, Körpererfahrung und
therapeutische Rituale, so wie der künstlerische Zugang
waren außergewöhnlicher Impuls.
Nun, mehr als 20 Jahre und bald eine Generation später,
sind wir herausgefordert, wieder Akzente zu setzen in einer
therapeutischen Welt, die Hilfe bereit stellen muss in einer
Zeit der Belastungen, der Krisen und der Überforderungen,
im Kontext von Virtualität und digitaler Flut.
Gegenwindschmecken: vielleicht ein kleiner Impuls, ein frischer
Ton, eine neue Note, ein Stück Mut, eine Portion Freiheit,
eine Prise Leibhaftigkeit für einen langen, weiten Atem.
Monika Glawischnig-Goschnik
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