LEIB ODER LEBEN
21. Internationales Seminar für
körperbezogene Psychotherapie, Körpertherapie
und Körperkunst
BAD GLEICHENBERG, 26.April bis 1. Mai 2015
Gegenwindschmecken

 


EDITORIAL

Gegenwindschmecken

 

 

 

 

 

 

 

Manchmal pfeift uns der Wind um die Ohren. Es braust und saust, möglicherweise Sturm? „Immer noch Sturm“ (P. Handke)?
Wird unser Schiff untergehen? Werden wir den Wellen standhalten? Wie schmeckt die steife Brise? Wie fühlt sich das „Salz auf unserer Haut“ an (B. Groult)?
Immer wieder werden sowohl wir HelferInnen, als auch unsere PatientInnen durch Lebenskrisen, Krankheiten und Unvorhergesehenes aus der Bahn geworfen.
Leidende Menschen wenden sich an uns, weil sie in Zeiten der Verunsicherung, der Not und der Krise Hilfe erwarten und erhoffen.
Unterschiedlichste Möglichkeiten des therapeutischen Zuganges sind uns vertraut.
Viele von uns arbeiten psycho-therapeutisch, meist mit verbal-sprachlichen Mitteln, mit kognitiven und intellektuellen Resumées und Deutungen, eingebunden in verschiedenste theoretische Gebäude und Denkrichtungen.
„Leib oder Leben“ bietet Erfahrungen und Austausch mit Nonverbalem, mit Kreativem, mit Techniken der Kunst- und Körpertherapie, mit Übungen aus den Kampfkünsten, Angeboten von Meditation und spirituellen Erfahrungen.
Evidence- based?
Wissenschaftlich geprüft, erprobt, valide, gültig?
Leitliniengetreu?

Gegenwind schmecken.
Der Geschmack der Freiheit, der Klang des Neuen, der Geruch von Haut und Haar, sinnliches Wahrnehmen, also mit allen Sinnen wahrnehmen und im Anschluss das Wahrgenommene, also die Phänomene, gemeinsam, also möglicherweise im Konsens, mit Bedeutung versehen, in Sprache bringen vielleicht oder mit anderen Medien weiterführen, intermodale Quergänge wagen, das Gehörte mit Farben ver-sehen, das Gefühlte schmecken, auf die Spur kommen, vielleicht die Spur wechseln. Vielleicht im Dissens sich in die Haare geraten, um die eigene Position kämpfen, aufgewühlt im Kampf um Macht und Geld, Strukturen und Drittmittel, Institutionen und Hierarchien.

Gelegentlich keine Sprache finden, wie schmecken dann der Groll, die Wut, die Angst, die Sorge, die Enttäuschung, der Widerstand? Und wie klingen dann die Liebe, das Gelingen, die Freude oder die Lust? Wie kann ich meinem Neubeginn Ausdruck verleihen?
Meine Freude hinausposaunen? Vielleicht die Nacht durchtanzen?
Gegenwindschmecken
Die Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie war in den letzten Jahren extrem herausgefordert, die vielen Fragen, die an die Psycho-Kunst- und Körpertherapie herangetragen werden, gehaltvoll weiter zu stellen.
Wir haben extremen Gegenwind gespürt, waren herausgefordert, uns zu positionieren, unsere Ideen weiter zu spinnen, auch wenn die Wogen hochgingen und der Sturm oft brauste.
So wie die hingebungsvolle und leidenschaftliche Tänzerin und die anderen Figuren auf dem Titelbild von Ishwara Erhard Koren haben wir versucht, uns tragen zu lassen, oft wurden wir herumgewirbelt und sind immer wieder auch ins Schleudern geraten.
Gelegentlich schmeckte die Stimmung schal und bitter, immer wieder fassten wir Mut, hielten Stand, machten weiter.
Gegenwind.
Möglicherweise braucht es neue Formate? Neue Strukturen? Muss das Alte weichen und dem Neuen Platz machen?
Was sagen die jungen KollegInnen zu unseren Ideen, wie kann Leibhaftigkeit in der virtuellen Welt thematisiert sein? Wie funktionieren die „Cyberleiber“ im 21. Jahrhundert?
Als unsere „Väter“ vor nunmehr 21 Jahren „Leib oder Leben“ gründeten, war die Thematisierung des Körpers in einer sich weitgehend am Verbalen orientierenden (psycho-) therapeutischen Community revolutionär.

Die Psycho-Szene war an sich schon ein möglicher Ort „subversiver“ Gedanken und das Ausleben von Körperlichkeit sowie die Thematisierung und das Anbieten von oft „fremden“ und neuen Techniken wie Meditation, Körpererfahrung und therapeutische Rituale, so wie der künstlerische Zugang waren außergewöhnlicher Impuls.
Nun, mehr als 20 Jahre und bald eine Generation später, sind wir herausgefordert, wieder Akzente zu setzen in einer therapeutischen Welt, die Hilfe bereit stellen muss in einer Zeit der Belastungen, der Krisen und der Überforderungen, im Kontext von Virtualität und digitaler Flut.

Gegenwindschmecken: vielleicht ein kleiner Impuls, ein frischer Ton, eine neue Note, ein Stück Mut, eine Portion Freiheit, eine Prise Leibhaftigkeit für einen langen, weiten Atem.

Monika Glawischnig-Goschnik




   

 

 

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