Editorial
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Wer Liebe sucht, sucht auf
den Spuren der ersten großen Liebe in den Armen der
Mutter, sucht auf den Spuren biologischer Botschaften aus
den Triebquellen im Inneren seines Körpers.
Eros, der Motor dieser Suche, sei ein Dämon, meinte Sokrates.
Ein gefährlicher Dämon, der, bewaffnet mit Fortpflanzungsinstinkten,
Hormonen und infantilen Fixierungen auf die Jagd geht. Auf
die Jagd nach Sex mit schönen Körpern, nach Liebe
zu schönen Seelen, ja, letztlich nach unsterblicher Weisheit,
treibt er die Verliebten über die engen Grenzen ihrer
Ichinteressen hinaus in zeitlosen Liebestaumel. In diesem
verliebten Zustand suchen sie nach Vereinigung, ursprünglich
mit Mutter und Vater, später mit ihren Liebespartnern
und zuletzt mit der Mutter Erde, die sie wieder aufnimmt,
wie S. Freud (1913) sinngemäß ausführte.
Im ekstatischen Zustand der Liebe zerbrechen individuelle
Beschränkungen, die Verliebten fühlen sich mit den
Kräften der Natur verbunden. Orpheus, der verliebte thrakische
Sänger oder Madschnun, der bis zum Wahnsinn verliebte
Beduine sprechen mit den Tieren, die keine Scheu mehr vor
ihnen zeigen. Kein Wunder, dass fast alle großen Liebespaare
der Kulturgeschichte wie Romeo und Julia, Hero und Leander
oder Leila und Madschnun an der gesellschaftlichen Ordnung
scheitern. Innerlich, weil ihr brennendes Herz sich vom kühlen
Verstand trennt, äußerlich, weil sie wie betrunkene
Schmetterlinge immer wieder in die neidigen Netze der sozialen
Gemeinschaft flattern.
Diese Krisen werden oft von sozialen und psychischen Krisen
sowie den damit verknüpften Ängsten begleitet. Eine
häufige, leider neurotische Bewältigungsstrategie
ist die Abspaltung körperlicher Lust von psychischer
Liebe. Körperpsychotherapeutische Selbsterfahrung lässt
uns erleben, dass der Baum der Liebe, mit all seinen spirituellen
Verzweigungen, letztlich doch immer im biologisch gut gedüngten
Erdreich sexueller Wünsche wurzelt. Durch dieses Erlebnis
können viele Spaltungen und Blockierungen des Energieflusses
zwischen nur scheinbar gegensätzlichen Erscheinungsformen
der Liebe aufgehoben werden.
Neues Leben erzeugt die Natur bekanntlich durch Liebesaktivitäten.
Verleugnet eine Kultur dieses Faktum und vermittelt den Mitgliedern
ihrer Gesellschaft liebesfeindliche Wertvorstellungen, so
beginnt sie nach Verwesung zu riechen. Wer in sich die Energie
der Liebe erstickt, verliert auch seine Lebenskraft.
Es ist hoffentlich klar, dass die hier in metaphorischer Sprache
skizzierten Zusammenhänge von Liebe, Sex und Kultur sich
genausogut in biologischer oder psychologischer Terminologie
ausdrücken lassen. Wir kennen aber auch eine Sprache
der Bewegung, der Gebärden, Mienen und vegetativen Reaktionen,
eine Sprache, die man in allen sozialen Schichten und allen
Ländern dieser Erde versteht. Diese Sprache ist die eigentliche
Muttersprache der Liebe. Deutlich lesbar sind ihre Spuren
in unsere Körper eingeschrieben.
Ein Ziel des Gleichenberger Seminars 2004 ist es, die mit
der Liebe notwendig verknüpften Konflikte in dieser Körpersprache
zu entziffern, darzustellen, alte Wunden und Narben zu lindern
und nach neuen Lösungsvarianten zu suchen.
Rainer Danzinger
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