Editorial
„Der eigene
Leib ist in der Welt,
wie das Herz im Organismus“
M. Merleau-Ponty
„Man entkommt nicht
dem Elend,
indem man den Mut verliert“
Aus dem Tibetischen
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EDITORIAL
Nach den vorangegangenen Leitthemen „Schwerkraft und
Leichtsinn“ (2003) und „Spuren der Liebe“
(2004) haben wir „Mut“ für dieses Seminar
ausgewählt. „Mut“ geht sprachgeschichtlich
auf die Beschreibung des menschlichen Inneren, als Sitz des
Fühlens, Denkens, Begehrens und Strebens zurück.
Dieses Innere wird sowohl von äußeren Wahrnehmungen
und eigenen Empfindungen bewegt. Als körperlichen „Ort“
des Mutes sahen traditionelle Heilkulturen den Brustraum an
- die Gegend, in der sich das Herz befindet. „Mut“,
als Gefühl, hebt oder senkt dieses „Herz“.
Es trägt dazu bei, sein Herz zu finden oder zu verlieren.
Frischer, freier und guter Mut steht schwerem, kleinem und
schwindendem Mut gegenüber. Neuer Mut wird als Auftrieb,
Beherztheit, Tapferkeit, Unerschrockenheit, Entschlossenheit
und Kühnheit im „Herzen“ gespürt, gefühlt,
geschöpft und gefasst.
Das „Löwenherz“ ist stark, fest, entschlossen,
großmütig. Das „beseelte“ Herz verkörpert
Demut und Vertrauen im höheren Sinn. Diese beiden „Herzen“
sind im ständigen Austausch mit dem anatomischen Herzorgan,
welches in uns pulsiert. Das Wort „Gemütsleiden“
erinnert daran, dass seelische Leiden auch „Mut-leiden“
sind. In der Wissenschaftssprache sprechen wir moderner von
„mood disorders“ (old english: mod „heart,
frame of mind, spirit, courage“). Verkümmert, verzweifelt,
zaudert oder versagt der „Mut des Herzens“ –
dann stellen sich Kleinmut, Unmut, Wankelmut, Wehmut, Schwermut
oder gar Mutlosigkeit ein. Wenn der „Mut des Herzens“
zu sehr anschwillt, dann drohen Hochmut, Missmut, Übermut,
oder gar Todesmut. Manche Stationen des menschlichen Lebens
erfordern einen Mut, der heldenhafte Züge annehmen kann.
„Courage“ leitet sich vom lat. „cor“,
das Herz, ab. Sie hilft von ganzem Herzen zu sein und zu handeln,
sich ein Herz zu fassen, um Leiden und Veränderungen
besser zu meistern. Courage bildet Selbstvertrauen,Entschlossenheit
und schafft neue Energie.
Sie bildet den Mut um zuzuhören, eigene Beobachtungen
und Widersprüche zu artikulieren, aber auch zu schweigen
oder sich zurückzuziehen. Zivilcourage mobilisiert, wenn
notwendig, auch öffentlichen Widerspruch und Widerstand.
Sie ist wesentlich für die Entwicklung von medizinischen
und therapeutischen Möglichkeiten.
Was mutet uns das Leben zu? Welche Zusammenhänge von
Gesundheit, Krankheit und Heilung vermuten wir? Wie können
wir bei seelischen oder körperlichen Verletzungen unseren
Lebenswillen verteidigen? Wie können Menschen ausreichendes
Selbstvertrauen und Tapferkeit sammeln, um sich Operationen
und belastenden Behandlungen erfolgreich zu unterziehen? Wie
viel Courage braucht ein Mensch, um ein fremdes Organ in seinen
Leib zu integrieren? Wie finden kranke Menschen neuen Mut,
um Krisen und schwere Krankheiten zu meistern? Welchen Mut
braucht würdevolles Sterben?
Wie können solche Fragen bewusst ins tägliche Leben,
in die Aus- und Weiterbildung von Heilberufen, in die ärztliche,
therapeutische und pädagogische Praxis, sowie in die
Gesundheitsförderung einbezogen werden? Welche wissenschaftlichen
Untersuchungen und Forschungen helfen uns, die Bedeutung von
Mut zu klären?
Wir wollen im Seminar beherzte, aufrechte, entschlossene,
hoffnungsvolle, tapfere, kämpferische, unerschrockene,
anmutige, freche und kluge Seiten des Muts praktisch erkunden.
Andere Qualitäten des Muts, wie die heldenhaften, kühnen,
martialischen, streitsüchtigen, tollkühnen, tolldreisten,
verwegenen, waghalsigen oder mutwilligen Seiten, sollen nicht
verschwiegen werden. Erst die flexible Handhabung aller Qualitäten
lehrt uns auch den Wert des Muts zur Angst, zum Falschmachen
und zu möglichen Fehlern.
Was sind authentische Gesten und Gefühle? Verändern
aufrechter Gang, beherzte Bewegungen und behutsame Berührungen
unser Selbstvertrauen? Wie kann dies auch im therapeutischen
Geschehen möglich werden? Was tragen Atemschulung, Kontemplationund
Humor zu neuer Entschlusskraft und Lebensenergie bei? Können
wir von der „Furchtlosigkeit“ der Selbstverteidigungskünste
mehr selbstverständlichen Mut lernen?
Das Seminar „Leib oder Leben“ hat sich seit über
10 Jahren als ermutigendes, erfrischendes und stärkendes
Forum für solche Fragenbewährt.
Prof. Dr. Helmut Milz
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