LEIB ODER LEBEN
18. Internationales Seminar für
körperbezogene Psychotherapie, Körpertherapie
und Körperkunst
BAD GLEICHENBERG, 29. April bis 4. Mai 2012
Jetzt Glück üben

 


EDITORIAL

Jetzt Glück üben

 

„Man muss sich Sysiphos als glücklichen Menschen vorstellen.“ (A.Camus)
„Das Schicksal ist auf glückliche Augenblicke eingerichtet – jedes Leben hat solche -, aber nicht auf glückliche Zeiten“ (F.Nietzsche).
Ja, renn nur nach dem Glück
doch renne nicht zu sehr
denn alle rennen nach dem Glück
das Glück rennt hinterher.

(B.Brecht)

 

 

 

 

 

 

Ist es verlogen oder gar weltfremd „in diesen Zeiten“, „jetzt“ und heute, vom Glück zu reden? Lenken nicht jede Beachtung des Glücks, geschweige denn die „Übung von Glück“, nur zynisch vom“ wahren Elend“ ab, unter dem so viele Menschen überall in der Welt aktuell leiden? Kann Beschäftigung mit Glück zu mehr führen als privilegierten, vergeblichen, womöglich sogar verordneten Fluchten? Sollte Glück nicht erst dann zum Thema werden, wenn alles andere gerecht geregelt ist? Wie halten wir es mit T. Adornos Mahnung: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“? Kann und darf auch der/die „glücklich“ sein, der/die nicht vergisst, was alles noch zu ändern ist? War der alte Geheimrat Goethe nur ein verträumter Romantiker, wenn er schrieb: „Willst du immer weiter schweifen? Sieh das Gute liegt so nah! Lerne nur das Glück ergreifen, denn das Glück ist immer da“. ( J. W. Goethe) Kann man – trotz alledem – „jetzt Glück üben“? Ins „Jetzt“ mischt sich oft das ein, was nicht mehr ist oder was noch werden könnte und häufig überdauert das „Jetzt“ diesen Augenblick.

„Es ist ein Wunder: der Augenblick, im Husch da, im Husch vorüber, vorher ein Nichts, nachher ein Nichts, kommt doch als Gespenst wieder und stört die Ruhe eines späteren Augenblicks“ (F. Nietzsche).

Wer sich zu sehr an einzelne Erinnerungen klammert, den lassen diese oft nicht mehr los. Wem es „jetzt“ gelingt diese Erinnerungen in ihrer ambivalenten Zeitlichkeit zu erkennen, der kann sie möglicherweise wieder in Bewegung setzen. Psycho-und Körpertherapien arbeiten mit solchen Paradoxien des Augenblicks. Sie eröffnen Spielräume für Veränderungen des eigenen Gedächtnisses. Vergangenes kann „jetzt“ so angenommen und mitgestaltet werden, dass es nicht mehr als „Totengräber des Gegenwärtigen“ (F. Nietzsche) wirkt.

Unser Leib und Gedächtnis bergen „Verdichtungen“ (H. Müller) in sich, welche sich unter dem Druck vergangener, erlebter Gefühle und Situationen gebildet haben. „Beine und Arme sind voll von schlummernden Erinnerungen“ (M. Proust). Viele Wege zu therapeutischen Ver-änderungen sind dementsprechend leiblich. Durch Bewegung und Berührung lassen sich heilsame therapeutischen Möglichkeiten ?wecken – wenn man für diese wach und bereit ist.

„Within the body, that you are wearing, now, insides the bones and the beatings of the heart lives the one, you have been searching for, so long. But you must stop moving and shake hands, the meeting doesn`t happen without your presence, your participation.“ (R. Hall)

In den letzten Jahren haben sich „westliche“ Psycho- und Körpertherapien um „östliche“ Elemente der meditativ-kontemplativen Bewusstseinsklärung (mindfullnes – Achtsamkeit) erweitert. Diese lenken in der Therapie die Aufmerksamkeit auf das spürbare „Jetzt“ und ermutigen eine Haltung des „Nicht-Tun“. Sie betonen die regelmäßige, stille Übung einer gelassenen, weder anhaftenden, noch bewertenden Bezeugung des unmittelbaren Flusses von Wahrnehmungen, Gefühlen oder Gedanken. Durch disziplinierte Aufmerksamkeit, etwa für den Atem, kann sich dabei mehr bewusste Präsenz entwickeln.

„Wer sich nicht auf der Schwelle des Augenblicks, alle Vergangenheiten vergessend, niederlassen kann, der wird nie wissen was Glück ist.“ (F. Nietzsche). Glücksgefühle sind meist nur von kurzer Dauer – Glücksmomente. Man sagt, dass dem Glücklichen keine Stunde schlägt. Er ist „jetzt“ glücklich. Momente des befriedigenden Gelingens können wichtige Zeitpunkte („kairos“) und Wendepunkte im Leben sein. Sie tauchen später als erlebte Stärken wieder auf. Ihre gezielte Erinnerung kann ein wichtiges Element von psychotherapeutischer Ressourcenmobilisierung sein.

„Was wir im strengsten Sinne des Wortes Glück nennen, wird von der plötzlichen Befriedigung aufgestauter Bedürfnisse ausgelöst. Es kann naturgemäß nur ein vorübergehendes Phänomen sein.“ (S. Freud).
„Glück gleicht durch Höhe aus, was ihm an Länge fehlt“ (R. Frost).

Glück ist ein erhebendes Gefühl, in dem man manchmal abheben und die ganze Welt umarmen könnte. Wer glücklich ist, dem fehlen oft die Worte, um dies angemessen auszudrücken.

„Glück besteht vor allem darin, das Leben zu lieben“ (M. Ricard).
„Glück“ hat viele Gestalten und kommt oft als reizvolles Versprechen im oberflächlichen „pursuit of happiness“, kann man heute leicht in Fluten von Glücksratgebern, -forschern, -boten, -feen oder Glückspillen absaufen. Glücksrezepte erweisen sich oft als „Anleitungen zum Unglücklichsein“ (P. Watzlawick). „Nur in der Praxis einer Sprache kann ein Wort Bedeutung bekommen“ (L. Wittgenstein). Wissenschaftliche Erkenntnisse über neurobiologische Prozesse von „Glückszuständen“ und „Glückhormonen“, wie Endorphinen oder Oxytocin, leisten einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von „Glück“. Sie können jedoch nicht erklären, was „Glück“ ist. „Glück ist nie das, was man sich darunter vorgestellt hat“ (S. Maugham).
Die 100-jährige Charlotte Selver sagte zu mir: „Every moment is new, if you allow it“. Den Moment erlauben – kann man das üben? „Üben“ braucht Bereitschaft für die Be(ob)achtung von Unterschieden, die einen Unterschied machen. „Lernen ist üben, ohne zu wiederholen“ (N. Bernstein). Aufmerksames „Üben“ ist mehr als nur Training, eine Schulung oder ehrgeiziges besser- werden für den äußeren Erfolg. „Üben üben“ ist eine dauernd neue Herausforderung. Dazu gehört (leider?) Disziplin, welche in Wiederholungen mehr entdeckt als nur Monotonie. Östliche Wege der Entwicklung betonen in diesem Zusammenhang den kontinuierlichen „Geist des Anfängers“. „Üben“ braucht manchmal „richtige Fehler“, aus denen man lernt, wie man routinierter, „falscher Richtigkeit“ (M. v. Varga) vorbeugen kann. „Üben üben“ weckt Interesse am Gewahrsein eigener, noch nicht genutzter Möglichkeiten. Es weist über die passive Vermittlung von Psycho- oder Körpertechniken hinaus. Das glücksähnliche, durch geduldige Übung vermittelte „Flow“-Erleben (M. Csikszentmihalyi) einer spezifischen Meisterschaft ähnelt dem, was östliche Wege mit „Eins-sein mit sich und seinem Tun“ umschreiben.

„Glück ist kein Geschenk der Götter – es ist die Frucht einer inneren Einstellung.“ (E. Fromm).

Meister übten sich schon früh. Übung allein machte sie nicht zum Meister. Auch Meister können immer wieder aus der Übung geraten. Zum „Glück“ gibt es Lösungen – Still sein, auch auf das achten, was unmittelbar geschieht, im Kontakt mit Grund, Raum mit der jetzt gegebenen Zeit sein, in Bewegungen, Gesten, Spiel, Bildern, Sprachen – bei sich und zugleich mit anderen sein.

Helmut Milz

   

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