LEIB ODER LEBEN

LEIB ODER LEBEN
8. Internationales Seminar für
körperbezogene Psychotherapie und Körpertherapie

BAD GLEICHENBERG, 28. April bis 3. Mai 2002

 

 

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Stirb und Werde > Editorial

 

Stirb und Werde

Auf Krankheit und Zusammenbruch folgen oft neue kraftvolle Lebensphasen. Es ist geplant, sich beim 8. Seminar für körperbezogene Psychotherpiemethoden in Bad Gleichenberg gezielt mit dieser Thematik des periodischen Wechsels von Tod und Leben insbesondere in körperlichen Zuständen auseinanderzusetzen. Deshalb sollen bereits zu Beginn der Tagung von der Seminarleitung und den Gruppenleitern einige mit der Problematik zusammenhängende Fragen aufgeworfen werden: Sind Vitalität, Energie und Lebenslust vielleicht mit der notwendigen Präsenz der Sterblichkeit wie Licht und Schatten verknüpft ? Wäre ein ewiges Leben ohne Wissen um Begrenzungen, ohne Schwächen, Krisen und letztlich ohne Tod möglicherweise öde und unmenschlich ? Sind Übergangsriten, lustvolle und schmerzliche Verwandlungen notwendige Bedingungen unseres Lebens ? Gibt es ohne periodische Begegnung mit dem Tod, ohne Aussöhnung mit der Hinfälligkeit unseres Leibes möglicherweise auch kein wahres und positives Lebensgefühl ? Nach einer Konfrontation mit diesen Themen am ersten Seminartag in Bad Gleichenberg sollen in den Kleingruppen individuell zu diesen Grundfragen Antworten und Strategien im Umgang damit erarbeitet werden. Zu Seminarende wird den Gruppen dann Gelegenheit geboten, ein Stück ihrer gemeinsamen Wochenarbeit öffentlich im Plenum vorzustellen. Selbstverständlich soll es in der Gruppenarbeit nicht ausschließlich um diese Leitmotive gehen und andere aktuelle Lebensprobleme der Teilnehmer sollen ebenfalls Platz finden. Es ist aber doch ein Anliegen der Seminarleitung, beim 8.Seminar und auch in Zukunft, Schwerpunktthemen vorzugeben. Diesmal gilt es dem im Körper verborgenen Sterben, seinen Manifestationen und seiner körperlichen Überwindung nachzuspüren. Kein Mensch kann sich immer stark, vital, unbesiegbar und unsterblich fühlen. Wer spürt, wie Thanatos, dieser Gegenspieler des Eros ihn unmerklich durchs Leben führt, kann besser mit den energetischen Rhythmen seines Körpers umgehen. Erschöpfung und Rückzug wechseln in sinnvoller Periodik mit Schwung und Aktivität. Gerade in den Übergängen zwischen diesen Zuständen zeigt sich das Kräftespiel der rhythmischen Auseinandersetzung von Liebe und Tod. Nur wer die dialektische Verknüpfung dieser beiden Kräfte spürt, kann auch verstehen, wieso Phantasien über Sterben und Untergang oft seltsam lustvoll getönt sind. Umgekehrt versteht er auch wieso gerade leidenschaftliche Liebe oft mit so tragischer und zerstörerischer Gewalt in unser Alltagsleben einbricht. Erregung, Erektion und Anspannung werden im Tanz des Lebens in rhythmischem Wechsel von Entspannung und Erschlaffung abgelöst. Dieser Tanz wird in der hinduistischen Mythologie als Tanz Shiva Natarajas, des Königs der Tänzer dargestellt. In einer seiner Hände trägt Shiva eine Flamme als Zeichen der Zerstörung und des Untergangs, in einer anderen Hand eine Trommel als Zeichen der rhythmischen Neuentstehung von Leben. Sein Tanz steigert sich bis zum Orgasmus in dem der Körper sein Ichbewußtsein verliert, ähnlich wie im Tod. Die Totentänze des mittelalterlichen Europa zeigen übrigens eine verwandte Symbolik. Mit einer Geige in der Hand führt der König Tod den bunten Reigen von Menschen aller Altersstufen, aller sozialer Klassen an. Die Bewegung des Tanzes zeigt die Gemeinsamkeit von Sterben und Lieben in rauschhafter Selbstauflösung. Das Bild des Totentanzes ist eine Metapher, wie der im Körper verborgene Tod die Menschen durchs Leben leitet. Wer sich mit dieser Realität nicht auseinandersetzen will und nur versucht, Tod und die Sterblichkeit abzuwehren, ihnen zu entrinnen, ruft sie schlußendlich gerade durch die Abwehr herbei. Letztlich gilt dies auch für die Anstrengungen der High-Tech- Medizin, die mit Transplantationen, Intensivstationen und plastischer Chirurgie ewige Jugend und ewiges Leben verheißt. Gerade diese vielversprechenden Illusionen führen in ihrer starren statischen Fixierung auf das neocorticale Ich zu einer Trennung des Menschen von den tieferen Zusammenhängen seiner Natur. Die Versprechungen ewigen Lebens entpuppen sich als illusionäre Abwehr von Todesangst. Hinter der Maske praller unersättlicher Lebenslust grinst immer wieder der Totenschädel hervor. Die hier angedeuteten Zusammenhänge sollen durch das Motto "Stirb und Werde" des 8. Gleichenberger Seminars für körperbezogene Psychotherapiemethoden ausgedrückt werden. Abgesehen von allgemeinen Beiträgen zur Lebensphilosophie und Lebenskunst, bringen sie aber auch zahlreiche praktische Anregungen für den Umgang mit Sterben, Alter und Neubeginn nach Krisen insbesondere im Gesundheitswesen. Aus dem Blickwinkel der Biologie ist der Wechsel degenerativer und regenerativer Stoffwechselprozesse ein Schlüssel zum Verständnis und zur Heilung chronischer Erkrankungen. Hier kann die komplementäre und alternative Medizin, wozu auch die Körpertherapien zu rechnen sind, wertvolles beitragen. Mit den auf den ersten Blick atemberaubenden Technologien der modernen Medizin entstehen neue, oft erschreckende Probleme rund um das Sterben. Auf Intensivstationen liegen atmende, auf Reize reagierende, lebendig wirkende Körper, die nach den geltenden Hirntodkriterien aber Tote sind. Tote, die keine Leichen sind. Ist aber wirklich nur der Neocortex das Kriterium ob jemand noch ein Mensch, eine Person ist? Verlieben wir uns nicht auch in die schönen Augen, in die harmonischen Bewegungen eines anderen ? Ist der Körper nur Diener und Zweck des Gehirns oder ist es vielleicht umgekehrt? Prof. Dr. P. Strasser wird in seinem Impulsreferat für eine Plenarsitzung diese Fragen ansprechen. "Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus" formulierte S. Freud und wollte damit zeigen, wie sehr unsere Interessen, unsere körperlichen Wünsche unser Bewußtsein beeinflussen. Ein verständnisvoller Umgang mit dem Abschiednehmen, mit der Akzeptanz der Sterblichkeit erleichtert auch die palliativmedizinische Begleitung unheilbar Kranker, die immer mehr zu einer zentralen Aufgabe der Medizin wird. Im zweiten Plenum wird Prof. H. Samonigg die Thematik der psychotherapeutischen und medizinischen Begleitung von Menschen auf einer universitären Palliativstation darstellen. Die Auseinandersetzung mit Menschen, die sich selbst beschädigen oder sich suicidieren wollen, gehört ebenfalls zu den praktischen therapeutischen Bereichen, die mit dem Schwerpunktthema des Seminars angesprochen werden sollen. "Stirb und Werde" heißt das Leitmotiv des Seminars und im Ablauf vieler körperbezogener Therapien spiegelt sich eben diese Sequenz. Viele Körpertherapeuten raten uns einfach von den bewußten verkrampften Bemühungen loszulassen, uns fallen zu lassen um mit der tieferen Weisheit unseres Organismus Kontakt aufzunehmen. Sie raten uns dies, damit wir in besserer Übereinstimmung mit unserer inneren Natur wieder einen neuen Weg durchs Lebens finden.

R. Danzinger

 

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