Stirb
und Werde
Auf Krankheit und Zusammenbruch folgen oft neue
kraftvolle Lebensphasen. Es ist geplant, sich beim 8. Seminar für
körperbezogene Psychotherpiemethoden in Bad Gleichenberg gezielt
mit dieser Thematik des periodischen Wechsels von Tod und Leben
insbesondere in körperlichen Zuständen auseinanderzusetzen. Deshalb
sollen bereits zu Beginn der Tagung von der Seminarleitung und den
Gruppenleitern einige mit der Problematik zusammenhängende Fragen
aufgeworfen werden: Sind Vitalität, Energie und Lebenslust vielleicht
mit der notwendigen Präsenz der Sterblichkeit wie Licht und Schatten
verknüpft ? Wäre ein ewiges Leben ohne Wissen um Begrenzungen, ohne
Schwächen, Krisen und letztlich ohne Tod möglicherweise öde und
unmenschlich ? Sind Übergangsriten, lustvolle und schmerzliche Verwandlungen
notwendige Bedingungen unseres Lebens ? Gibt es ohne periodische
Begegnung mit dem Tod, ohne Aussöhnung mit der Hinfälligkeit unseres
Leibes möglicherweise auch kein wahres und positives Lebensgefühl
? Nach einer Konfrontation mit diesen Themen am ersten Seminartag
in Bad Gleichenberg sollen in den Kleingruppen individuell zu diesen
Grundfragen Antworten und Strategien im Umgang damit erarbeitet
werden. Zu Seminarende wird den Gruppen dann Gelegenheit geboten,
ein Stück ihrer gemeinsamen Wochenarbeit öffentlich im Plenum vorzustellen.
Selbstverständlich soll es in der Gruppenarbeit nicht ausschließlich
um diese Leitmotive gehen und andere aktuelle Lebensprobleme der
Teilnehmer sollen ebenfalls Platz finden. Es ist aber doch ein Anliegen
der Seminarleitung, beim 8.Seminar und auch in Zukunft, Schwerpunktthemen
vorzugeben. Diesmal gilt es dem im Körper verborgenen Sterben, seinen
Manifestationen und seiner körperlichen Überwindung nachzuspüren.
Kein Mensch kann sich immer stark, vital, unbesiegbar und unsterblich
fühlen. Wer spürt, wie Thanatos, dieser Gegenspieler des Eros ihn
unmerklich durchs Leben führt, kann besser mit den energetischen
Rhythmen seines Körpers umgehen. Erschöpfung und Rückzug wechseln
in sinnvoller Periodik mit Schwung und Aktivität. Gerade in den
Übergängen zwischen diesen Zuständen zeigt sich das Kräftespiel
der rhythmischen Auseinandersetzung von Liebe und Tod. Nur wer die
dialektische Verknüpfung dieser beiden Kräfte spürt, kann auch verstehen,
wieso Phantasien über Sterben und Untergang oft seltsam lustvoll
getönt sind. Umgekehrt versteht er auch wieso gerade leidenschaftliche
Liebe oft mit so tragischer und zerstörerischer Gewalt in unser
Alltagsleben einbricht. Erregung, Erektion und Anspannung werden
im Tanz des Lebens in rhythmischem Wechsel von Entspannung und Erschlaffung
abgelöst. Dieser Tanz wird in der hinduistischen Mythologie als
Tanz Shiva Natarajas, des Königs der Tänzer dargestellt. In einer
seiner Hände trägt Shiva eine Flamme als Zeichen der Zerstörung
und des Untergangs, in einer anderen Hand eine Trommel als Zeichen
der rhythmischen Neuentstehung von Leben. Sein Tanz steigert sich
bis zum Orgasmus in dem der Körper sein Ichbewußtsein verliert,
ähnlich wie im Tod. Die Totentänze des mittelalterlichen Europa
zeigen übrigens eine verwandte Symbolik. Mit einer Geige in der
Hand führt der König Tod den bunten Reigen von Menschen aller Altersstufen,
aller sozialer Klassen an. Die Bewegung des Tanzes zeigt die Gemeinsamkeit
von Sterben und Lieben in rauschhafter Selbstauflösung. Das Bild
des Totentanzes ist eine Metapher, wie der im Körper verborgene
Tod die Menschen durchs Leben leitet. Wer sich mit dieser Realität
nicht auseinandersetzen will und nur versucht, Tod und die Sterblichkeit
abzuwehren, ihnen zu entrinnen, ruft sie schlußendlich gerade durch
die Abwehr herbei. Letztlich gilt dies auch für die Anstrengungen
der High-Tech- Medizin, die mit Transplantationen, Intensivstationen
und plastischer Chirurgie ewige Jugend und ewiges Leben verheißt.
Gerade diese vielversprechenden Illusionen führen in ihrer starren
statischen Fixierung auf das neocorticale Ich zu einer Trennung
des Menschen von den tieferen Zusammenhängen seiner Natur. Die Versprechungen
ewigen Lebens entpuppen sich als illusionäre Abwehr von Todesangst.
Hinter der Maske praller unersättlicher Lebenslust grinst immer
wieder der Totenschädel hervor. Die hier angedeuteten Zusammenhänge
sollen durch das Motto "Stirb und Werde" des 8. Gleichenberger Seminars
für körperbezogene Psychotherapiemethoden ausgedrückt werden. Abgesehen
von allgemeinen Beiträgen zur Lebensphilosophie und Lebenskunst,
bringen sie aber auch zahlreiche praktische Anregungen für den Umgang
mit Sterben, Alter und Neubeginn nach Krisen insbesondere im Gesundheitswesen.
Aus dem Blickwinkel der Biologie ist der Wechsel degenerativer und
regenerativer Stoffwechselprozesse ein Schlüssel zum Verständnis
und zur Heilung chronischer Erkrankungen. Hier kann die komplementäre
und alternative Medizin, wozu auch die Körpertherapien zu rechnen
sind, wertvolles beitragen. Mit den auf den ersten Blick atemberaubenden
Technologien der modernen Medizin entstehen neue, oft erschreckende
Probleme rund um das Sterben. Auf Intensivstationen liegen atmende,
auf Reize reagierende, lebendig wirkende Körper, die nach den geltenden
Hirntodkriterien aber Tote sind. Tote, die keine Leichen sind. Ist
aber wirklich nur der Neocortex das Kriterium ob jemand noch ein
Mensch, eine Person ist? Verlieben wir uns nicht auch in die schönen
Augen, in die harmonischen Bewegungen eines anderen ? Ist der Körper
nur Diener und Zweck des Gehirns oder ist es vielleicht umgekehrt?
Prof. Dr. P. Strasser wird in seinem Impulsreferat für eine Plenarsitzung
diese Fragen ansprechen. "Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus"
formulierte S. Freud und wollte damit zeigen, wie sehr unsere Interessen,
unsere körperlichen Wünsche unser Bewußtsein beeinflussen. Ein verständnisvoller
Umgang mit dem Abschiednehmen, mit der Akzeptanz der Sterblichkeit
erleichtert auch die palliativmedizinische Begleitung unheilbar
Kranker, die immer mehr zu einer zentralen Aufgabe der Medizin wird.
Im zweiten Plenum wird Prof. H. Samonigg die Thematik der psychotherapeutischen
und medizinischen Begleitung von Menschen auf einer universitären
Palliativstation darstellen. Die Auseinandersetzung mit Menschen,
die sich selbst beschädigen oder sich suicidieren wollen, gehört
ebenfalls zu den praktischen therapeutischen Bereichen, die mit
dem Schwerpunktthema des Seminars angesprochen werden sollen. "Stirb
und Werde" heißt das Leitmotiv des Seminars und im Ablauf vieler
körperbezogener Therapien spiegelt sich eben diese Sequenz. Viele
Körpertherapeuten raten uns einfach von den bewußten verkrampften
Bemühungen loszulassen, uns fallen zu lassen um mit der tieferen
Weisheit unseres Organismus Kontakt aufzunehmen. Sie raten uns dies,
damit wir in besserer Übereinstimmung mit unserer inneren Natur
wieder einen neuen Weg durchs Lebens finden.
R. Danzinger
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