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Zwischen Formbildung
und Formvernichtung: Zur paradoxen Grundhaltung
Die Arbeit in meiner Gruppe wird sich mit einer
Haltung befassen, wie sie die Protagonisten der folgenden zwei Geschichten
exemplarisch verkörpern:
Da geht einer mit dem Regenschirm unterm Arm durch den strömenden
Regen. Auf die Frage eines neugierigen Passanten, warum er denn
den Schirm nicht aufspanne, antwortet er: "Ich mag es nicht,
bis an die Grenzen meiner Möglichkeiten zu gehen."
Und die (anekdotische) Fassung eines berühmten Kampfes des
Samurai Musashi: Musashi zog sich nach seinem fünfzigsten Lebensjahr
vom Kämpfen zurück. Er widmete sich nur noch dem Malen
und Schreiben von Gedichten. Ein junger Samurai, der unbedingt einen
Kampf mit dem großen Musashi bestehen wollte, verfolgte diesen
jahrelang mit seinen Herausforderungen. Irgendwann sah Musashi ein,
daß dies nie ein Ende haben würde und willigte in einen
Kampf ein. Das Duell sollte frühmorgens auf einer Insel stattfinden.
Am festgesetzten Tag ruderte Musashi mit großer Verspätung
in aller Ruhe zur Insel. Sein Gegner hatte schon stundenlang in
großer Anspannung gewartet. Als er Musashi endlich sah, brachte
er sich und sein Schwert in Position. Musashi ging nur mit dem Ruder
in der Hand auf den jungen Samurai zu und erschlug seinen Gegner
mit einem Schlag auf den Kopf.
Wir werden also Regen- und Ruderübungen machen. Auch wenn die
eine oder andere der Übungen dem eigenen Kopf bedrohlich nahe
kommt alles nur eine Frage der Haltung? Und die Frage nach
der Haltung zieht weitere nach sich: Z. B. warum an die Grenzen
seiner Möglichkeiten zu gehen die "Abschaffung des Todes
als Lebenshorizont" bedeutet. Oder anders: warum es "wenn
man leben will, verboten ist, bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten
zu gehen. " (Jean Baudrillard) Oder einfacher: Warum es manchmal
besser ist, im Regen zu stehen als auf dem Trockenen zu sitzen.
Und natürlich dreht sich letztlich alles um die Frage, warum
es manchmal ein Ruder und kein Regenschirm sein muß.
GRUBER Martin, geb. 1957, Regisseur und Choreograph.
Als Dozent für Bewegung und Rollengestaltung an der Bayerischen
Theaterakademie (Universität München) führte er moderner
Körperarbeit und japanischer Kampfkünste als festen Bestandteil
des Lehrplans ein. Internationale Lehrtätigkeit. Seit dem 12.
Lebensjahr Unterricht in verschiedenen Kampfkünsten, u.a. Iado,
Hojo, 5. Dan Aikido an der Schule des Gründers Ueshiba in Tokio,
Japan. Ausbildung in Funktionaler Integration bei Prof. Alon Talmi,
Israel. Ausbildung in Zen Bodytherapy bei Dub Leigh, USA, einem
langjährigen Schüler von Moshe Feldenkrais und Ida Rolf.
Unterricht in Grammatik der Füße bei Tadashi Suzuki,
Japan. Aufbau einer Produktionsstätte für Theater und
eines Seminarhauses in Birach (Oberbayern)
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