LEIB ODER LEBEN
19. Internationales Seminar für
körperbezogene Psychotherapie, Körpertherapie
und Körperkunst
BAD GLEICHENBERG, 28.April bis 3.Mai 2013
Leibheimat und Grenzkontrolle

 


Leibheimat und
Grenzkontrolle

 

„Das menschliche Dasein ist ein Gasthaus. Jeden Morgen ein neuer Gast. Eine Freude, eine Traurigkeit, eine Niedertracht oder ein kurzer Moment von Achtsamkeit kommen als unverhoffte Besucher. Begrüße und bewirte sie alle.“
(D. Rumi)

 

 

 

 

 

 

Wer das Seminar „Leib oder Leben“ kennt, den wundert es nicht, dass unser Tagungsmotto poetische Assoziationen einbezieht. Damit geben wir beiden Polaritäten, welche in der therapeutischen Arbeit wirken, Spielraum: der Imagination und der Vernunft. Auch die Bedeutung des Wortes „Heimat“ wechselt häufiger im Laufe unseres Lebens. Sie ist selten eindeutig und sicher. „So entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“ (E. Bloch). Einerseits verlassen viele Menschen ihre Heimat aus eigenem Antrieb. Sie wollen heraus aus der Enge ihres gewohnten Milieus, zu unbekannten Ufern aufbrechen, neue Herausforderungen suchen, unabhängig werden, ihr Glück finden. In der Fremde tauchen Heimweh und Wünsche zur Rückkehr auf. „Die Fremde ist herrlich, solange es eine Heimat gibt, die wartet.“ (E. Mann)
Andererseits ist der Verlust von Heimat durch Flucht, Völkerwanderungen oder Vertreibung ein zentrales Thema der Menschheitsgeschichte und weltweit leben heute Millionen von Menschen im unfreiwilligen Exil, als Folge von Kriegen, ökologischen Desastern und ökonomischen Krisen. Ihnen bleibt die Hoffnung, dass sie neue Heimaten finden, die sie verstehen können und in der sie sich verstanden fühlen. Es begleitet sie die bange Frage, ob die Anderen bereit sind, ihnen menschliches Asyl und die neue Chance auf Heimat zu ermöglichen.
Der Leib bleibt in all diesen Veränderungen Mittelpunkt und Gedächtnis unseres „In-der-Welt-Seins“. Er umfasst das eigene Vermögen, sich in der Welt wahrzunehmen, zu entfalten und zu behaupten, anzupassen und einzurichten. „Hier“ ist unser Leben spür- und fühlbar versammelt und in ihm hat es ein „Zuhause“. Unsere Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken und unser Gedächtnis sind einverleibt (embodied). Es scheint, als ob wir aus unserem Leib nicht vertrieben werden können. Und doch gibt es Zeiten und Situationen, in denen man sich in seinem Leib nicht mehr wohl fühlt, sich in ihm nicht mehr „auskennt“ oder sich gar von innerer Heimatlosigkeit bedroht fühlt. Wie kann mein Leib auch dann noch Schutz bieten, wenn ich mich als nicht „perfekt“, als verletzlich oder gar beschädigt erlebe? Wie kann ich trotzdem „bei mir sein“ oder neues Vertrauen „in mich“ finden? Wann muss ich meine gewohnten Grenzen anerkennen, wann engen mich diese unnötig ein, wie kann ich diese hilfreich ausdehnen?
In der Kindheit lernen wir unsere natürlichen Körperöffnungen für die Aufnahme und Ausscheidung von Nahrung und Verdauung zu kontrollieren. Unsere Grenzen werden gepflegt, verhüllt und verkleidet. Auf den Oberflächen unseres Körpers werden wir von mehr „Fremdkörpern“ und anderen Organismen besiedelt, als wir selber Körperzellen haben. Meistens geschieht dieser „Grenzverkehr“ kooperativ und zu unseren Gunsten.
Die „Grenzen“ unseres Leibes sind nicht identisch mit denen unseres Körpers. Letztere enden an der Haut und können vermessen werden. Das Innere unseres Körpers ist für uns selbst unsichtbar. Durch moderne Diagnosetechniken überschreitet der „ärztliche Blick“ jedoch diese Grenzen und veröffentlicht das körperliche Innenleben. Das „Innere“ unseres Leibes bleibt für Fremde verschlossen. Überanstrengung, Überforderung oder traumatische Ereignisse können dazu beitragen, dass unsere Grenzen ignoriert und verletzt werden. Durch Abwehr- oder Fluchtbewegungen versuchen wir uns zu schützen. Wir stoßen daher manchmal an „Grenzen“ unseres Könnens und Wissens, unserer Leistungsfähigkeit, Erfahrung, Kompetenz oder Zuständigkeit. „Grenzkontrollen“ können daher Ausdruck eines gesunden „Eigensinns“ sein, als einer bewussten Selbstkontrolle. Wo wir als Fremde betrachtet werden, dort werden unsere „Grenzen“ durch Andere kontrolliert, in „Leibesvisitationen“ oder Bodyscannern. Ethische, moralische und rechtliche Grenzen erinnern daran, die Grenzen der Anderen zu achten und zu respektieren.
Das Seminar „Leib oder Leben“ will Sie ermutigen, „am Leitfaden des Leibes“ zu sein, während Sie mit anderen Menschen zusammen sind. Es öffnet Räume und Zeiten zur „existentiellen Heimatkunde“. „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen“ (H. Hesse).

Helmut Milz

 
Editorial

 

 

 

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